Meine Sicht der Dinge - Gas oder Wasser?

Vorangestellt sei: dies ist kein Reisebericht. Aber jede Reise führt auch in Heimat von Menschen. Dies ist also ein Heimatbericht. Einer, der mir sehr wichtig ist.

Manchmal kann ich mich nur noch wundern. Naja, immerhin kann ich mich noch wundern. Über die Naivität von Menschen. Die ausblenden welche Interessen Wirtschaftsunternehmen verfolgen...
Eigentlich glaube ich ja an das Gute im Menschen. Aber das Gute in Wirtschaftsunternehmen? Eher nicht. An das Gute in der Politik? Eher auch nicht. Ihr könnt mir nicht folgen? Ich rede kryptisch? Mag sein. Aber lest weiter, dann lösen sich eure Fragen von selber.
Ich möchte euch ein Bild malen. Von dem Ort, an dem ich wohne. Ein Bild mit Worten.
Ich wohne in den Vierlanden. Die Vierlande ? Tja, die sind ein Teil von Hamburg. Doch stellt euch keine Großstadt vor. Es gibt kaum einen Ort, der weniger großstädtisch sein könnte. Stellt euch Deichstraßen vor. Kilometerlang mit vielen Kurven. Gesäumt von Fachwerkhäusern. Tief heruntergezogene Reetdächer. Die sich vor dem allgegenwärtigen Wind schützend an den Boden zu schmiegen scheinen. Freie Felder mit windschiefen Weiden wechseln mit Reihen gläserner Gewächshäusern. Am Straßenrand blühende Blumen. Storchennester, die jedes Frühjahr von ihren Bewohnern neu bezogen werden. Die Elbe fließt glitzernd an unseren Deichen vorbei. Entwässerungsgräben bewahren die Häuser vor der Feuchtigkeit. Manche Gärten schmücken künstliche Plastikkühe. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Doch zahlenmäßig sind echte Kühe auf den Weiden überlegen. Und Pferde. Verschiedenster Rassen und Größen. Und natürlich Blumen, Blumen, Blumen. Innerhalb und außerhalb der Gewächshäuser. Eine Idylle.


Habt ihr das Bild im Kopf? Super! Zur Unterstützung hier noch ein Sonnenaufgang über der Elbe.

Themenwechsel. Kennt ihr euch mit Gesetzen aus? Ich auch nicht. Aber ich habe versucht mich schlau zu machen.
Es geht um das Bergrecht. Tatsächlich ein Recht aus Kaisers Zeiten. Das immer noch gilt. Manche Dinge sind unkapputbar. Im 19. Jahrhundert gemacht, um dem Kaiser einen einfachen Zugriff auf Bodenschätze zu garantieren. Es schreibt fest, dass Grundbesitzer keinen Anspruch auf bestimmte Bodenschätze haben, sondern der Staat. Der darf sie jedem, der sie abbauen will und kann, sozusagen alleinherrschend zusprechen. Der Staat mit seiner Verwaltung kann also immer noch schwer angreifbar Bergbau zulassen, auch wenn er dem Interesse der betroffenen Anwohner keinesfalls entspricht. Soweit so schlecht.
Jetzt kommen wir zu den Wirtschaftsunternehmen. In diesem Fall die Firma BEB, eine Tochter des Energieriesen Exxon Mobile. Immer auf der Suche nach neuen Energiereserven. Die mit immer neuen Methoden gefördert werden sollen. Schließlich sind alle Reserven endlich. Und die Energiepreise scheinbar nicht. Diese Firma hat eine sogenannte Aufsuchungsgenehmigung für die Vierlande erhalten. Nicht nur für die Vierlande, auch für diverse andere Gebiete. Vom Landesbergbauamt. Die mit dem Recht aus Kaisers Zeiten. Drei Jahre kann das Unternehmen nun prüfen, ob sich genügend Erdgas in tieferen Gesteinsschichten befindet.

Zurück in die Vierlande. Trinkwassereinzugsgebiet  für die Millionenmetropole Hamburg.  In Teilen ökologisch sensibles Naturschutzgebiet. Naherholungsgebiet für gestresste Großstädter, begeisterte Radfahrer und Inlineskater. Wohnort von Menschen. Und nicht nur die Vierlanden sind betroffen. Im Hamburger Stadtgebiet auch noch Teile von Bergedorf, Allermöhe, Wilhelmsburg und Harburg. Die um ein vielfaches dichter besiedelt sind. Macht euch ein Bild in eurem Kopf. Dann erneut: umswitchen.

Wir machen einen Zeitsprung. Zum 3. November 1910. In der Nacht gab es einen gewaltigen Knall an zwei Bohrstellen am Kirchwerder Landweg. Unkontrolliert entströmte einem Bohrloch, aus dem eigentlich Wasser sprudeln sollte, Erdgas. Das austretende Gas war nicht mehr zu bändigen und fing in der nächsten Nacht, wahrscheinlich durch Funkenflug, Feuer. Die Baustelle, einschließlich des hölzernen Bohrturmes, verwandelte sich durch die Explosion in ein Trümmerfeld. Menschen wurden wegen der nächtlichen Zeit wie durch ein Wunder nicht verletzt. Da das Bohrrohr einen kreuzförmigen Ansatz hatte, brannte das Gas in Form eines Kreuzes. Welch mystisches Schauspiel! Zwanzig Tage lang war dieses Flammenkreuz nicht zu löschen. Von überall her pilgerten die Menschen, um dieses Schauspiel zu sehen. Geschäftstüchtige Anwohner verkauften Tütchen mit Watte, gegen den ohrenbetäubenden Lärm des austretenden Gases. Die Reichsbahn setzte Sonderzüge ein und Männer boten den Schaulustigen ihre Dienste als Träger durch den Morast an. Nach zwanzig Tagen konnte das Feuer dann endlich gelöscht werden.
Quelle Bergedorfer Bürgerverein
Das war der Startschuss für die Erdgasförderung in den Vierlanden. Ab 1913 wurde die Quelle wirtschaftlich genutzt. Etwas später, nämlich 1937 wurde in Reitbrook, auch Vierlanden, mit der Erdölförderung gestartet. Du wunderst dich? Fragst dich, wo das Problem ist? Wenn hier schon seit Jahrzehnten Erdgas und Erdöl gefördert wird? Nimm dir noch ein wenig Zeit und lies weiter.

Zurück ins hier und jetzt. Nur um das Bild im Kopf zu behalten. Wir sind hierher gezogen, weil es uns wichtig war, dass unsere Kinder in der Natur aufwachsen. Wissen, dass man für Milch Kühe braucht. Dass Hühner Eier legen. Dass aus Samen in der Erde Blumen wachsen. Oder Gemüse. Dass man den Tag mit wilden Abenteuern zwischen  den Obstbäumen verbringen kann. Oder in der Scheune im Heu. Dass Bienen Honig machen. Wenn man sie lässt. Dass eine Libelle über dem Wasser tanzen kann. Oder zwei Libellen. Dass es all diese Wunder der Natur gibt. Und dass diese unersetzlich ist. Ist das Bild wieder im Kopf? Super!

Jetzt wird es technisch. Physik, Chemie und Mathe waren nie meins. Ich habe mich schwer getan damit. In der Schule geschummelt. Glücklicherweise kann mir kein Doktortitel aberkannt werden. Doch ich hab versucht mich schlau zu machen. Unsere fossilen Brennstoffe sehen ihrem Ende entgegen. Sie reichen, je nachdem wen man fragt, welchen Verbrauch man zugrunde legt und um welchen Brennstoff es geht, zwischen 40 und 67 Jahren, nur Kohle soll noch für über 100 Jahre vorrätig sein. Das spornt alle an neue Vorräte und neue Fördermethoden zu entdecken. Die Motive dafür? Sicher keine Menschenfreundlichkeit. Schließlich ist damit eine Menge Geld zu verdienen. Hier kommt jetzt wieder die Firma BEB ins Spiel. Die Tochter von Exxon Mobile. Und die Geschichte mit dem kaiserlichen Bergrecht. Unter den Vier- und Marschlanden gibt es geologische Formationen, die ein Vorkommen von Gas und Öl im Tiefengestein vermuten lassen.
Die technischen Einzelheiten der angedachten Fördermethode, des Frackings, möchte ich nicht erklären. Das können  andere detaillierter und besser. Ich fasse es nur kurz zusammen. Um auch das letzte Erdgas aus tiefen Gesteinschichten zu fördern, muss ein Gemisch aus Wasser, Sand und Chemikalien in den Boden gepresst werden, so dass Risse erzeugt werden, die eine Förderung dieses Erdgases erst ermöglichen. Welche Chemikalien? Tja, das wird nicht so wirklich verraten. Da könnte ja jeder kommen. Laut Monitor sind in Deutschland unter anderem diese Stoffe zum Einsatz gekommen, nämlich: Tetramethylammoniumchlorid, Petroleumdestillate, Octylphenol und Biozide aus der Gruppe der Isothiazolinone. Alles krebserregende, hormonverändernde und stark wassergefährdende Toxine. Mit unaussprechlichen Namen. Achja, und etwas dieser Frackflüssigkeit bleibt immer im Boden zurück. Klingt vielversprechend, nicht wahr? Zumindest für Wirtschaftsunternehmen.

Wir wechseln Zeit, Ort, Land und Kontinent.
20. April 2011. Bradford County (Penssylvania). Hier kam es beim Fracken nach Erdgas zu einem sogenannten Blowout. Zehntausende Liter Frackflüssigkeit wurden dabei in der Umgebung verteilt und flossen auch nach Stunden noch in einen nahe gelegen Bach.
Der explosionsartigen Austritt wurde durch einen nicht näher genannten technischen Fehler verursacht.
Die Bohrplattform wurde versiegelt, Schutzwände aus Stahl und Beton errichtet, aber es reichte nicht. Die Folgen des Ausbruchs konnten nicht mehr verhindert werden. Das Wasser-Chemikaliengemisch verseuchte die Umgebung im weiten Umkreis. Obwohl die Firma angeblich alle Vorkehrungen getroffen hatte, dass so etwas nicht passieren könnte. Auch ein nahe gelegener Zufluss zum Susquehanna River, Trinkwasserlieferant für mehrere große Städte in Pennsylvania war betroffen.
Klingt das immer noch vielversprechend? Eher nicht.

Jetzt verlassen wir den Ort der Horrorszenarien und kehren wieder zurück ins hier und jetzt. Was die Horrorszenarien ja nicht mehr unbedingt ausschließt. Von unserem Dachfenster aus kann ich über Reihen von Gewächshäusern den Sonnenaufgang beobachten. Im Frühjahr und Herbst steigt sie aus dem fahlen Frühnebel an einen immer blauer werdenden Himmel. Manchmal. Mein Blick streift die Dachfenster. Sie müssten erneuert werden. Sind bereits mehr als zwanzig Jahre alt.
Wir haben sie aus der Bille-Siedlung. Die Bille-Siedlung? Die gibt es so nicht mehr. Das war ein Wohngebiet im Osten Hamburgs, gebaut auf einer Spülfläche, in der sich erhöhte Dioxin-, Furan-, Arsen- und Schwermetallkonzentrationen fanden. Hochgradig gesundheitsgefährdend. Mehr als 700 Menschen lebten dort. In knapp 300 Haushalten. Viele Bewohner akzeptierten die von der Hamburger Stadt angebotene Umsiedlung. Dann wurden 80.000 Kubikmeter Boden ausgetauscht. Dafür wurden Häuser abgerissen. Die vorher ausgeschlachtet wurden. Von dort kommen unsere Dachfenster.

Ich sehe ihn noch vor mir, den Mann vom Abrissunternehmen. " Schaut selber, wenn ihr ein Haus mit passenden Dachfenstern findet, kommt und sagt Bescheid." Sprachs, Hände in den Taschen und stiefelte davon.
Wir machten danach einen geisterhaften Spaziergang durch verwaiste Gärten. Zwitschernde Vögel, die nichts davon wusssten, dass sie die Beeren an den Sträuchern lieber nicht essen sollten. Liegen gebliebenes Spielzeug in einsamen Sandkisten. Einige verspätet blühende Kletterrosen an einem Spalier, die an heißen Sommertagen Schatten spenden sollten. Was sie nie wieder tun würden. Eine unnatürliche Stille, nur unterbrochen vom Lärm der Baufahrzeuge, die in der Ferne bereits die ersten Häuser dem verseuchten Erdboden gleich machten. Offen stehende Haustüren. Für alle, die noch etwas gebrauchen konnten. Ausverkauf von dem, was einmal Heimat von Menschen war. Es war gespenstisch.

Ich glaube nicht an das Gute in Wirtschaftsunternehmen. Das habe ich bereits am Anfang gesagt. Wirtschaftsunternehmen agieren, um Profit zu erreichen. Das ist ihr Hauptziel. Sie möchten keine Lebensräume schützen. Es geht ihnen auch nicht um unsere Versorgung mit Energie. Es geht ihnen ausschließlich um Profit.
Ich glaube auch nicht so wirklich an das Gute in der Politik. Um weiter in Bildern zu sprechen: Wirtschaft und Politik gehen oft Hand in Hand, manchmal eng umschlungen wie ein Liebespaar. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass mit Hilfe der Politik marode Firmen, marode Banken gerettet wurden, deren Manager trotz zu verantwortender Milliardenverluste immer noch Boni in Millionenhöhe kassieren. Unsere Politiker agieren fast ausschließlich wirtschaftspolitisch.
Dreizehn Jahre sollen die deutschen Schiefergasvorkommen unseren Gasbedarf decken können. Angeblich.  Doch selbst wenn dem so wäre. Sind dreizehn Jahre Gasversorgung es wert, das Risiko einzugehen Trinkwasser und Boden zu verseuchen? Ohne Gas können wir leben, ohne Trinkwasser nicht. Wir sind gefordert. Wir müssen uns wehren.







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