Unser erster Südafrikaurlaub liegt inzwischen über zwei Jahre, achwas, fast drei Jahre zurück. Während dieser vier Wochen im Jahr 2011 hat sich das Land tief in unsere Herzen geschlichen. Mit seiner grandiosen Landschaft. Mit der unbeschreiblich vielfältigen Tierwelt. Mit all den lächelnden Menschen unterschiedlicher Hautfarbe. Doch als Tourist ist man meist in einem weißen Südafrika unterwegs. Hat nur wenig Berührungspunkte mit dem Südafrika der farbigen Bevölkerung. Man trifft sie als dienstbare Geister in den Lodges und Gästehäusern, in den Nationalparks und Geschäften. Auch Kapstadt macht da keine Ausnahme. Es gibt das Kapstadt der zumeist weißen Bevölkerung, eine der schönsten Städte der Welt, umrahmt von den steilen Wänden des Tafelbergs und eingefasst von dem tiefblauem Meer.
Und es gibt die andere Seite. Die der Armut. Die der Unterpriviligierten. Die farbige Bevölkerung Kapstadts wohnt hauptsächlich in den Vierteln Athlone, Guguletu, Nyanga, Langa, Crossroads und Khayelitsha. Alle weit entfernt vom Stadtkern. Mit mangelnder Elektrizitäts- und Wasserversorgung, schlechten oder nicht vorhandenen sanitären Einrichtungen und häufig fehlender Abwasser- und Müllbeseitigung. Mit schlechter oder gar nicht vorhandener Verkehrsanbindung. Und trotzdem ein Magnet für die noch Ärmeren, Landflüchtlinge, die sich hier ein besseres Leben versprechen, Bürgerkriegsflüchtlinge aus Nachbarländern, die dafür sorgen, dass die Townships an ihren Rändern weiter wuchern, die in Papphäusern wohnen, die nach jedem Regen weggeschwemmt werden und sich von dem ernähren, was die etwas weniger Armen wegwerfen.
Auch diese Seite wollen wir kennenlernen. Über unser Gästehaus buchen wir eine Townshiptour. Irgendwie trotzdem mit schlechtem Gewissen und einem mulmigen Gefühl. Wir möchten nicht mit dutzenden Touristen in einem Bus durch die Townships fahren, als würden wir einen Zoo besichtigen. Oder eine Safari unternehmen. Von
der Nationalstraße aus hatten wir bereits einen Blick auf die
wuchernden Townships werfen können und sind sehr gespannt, aber so ganz locker irgendwie nicht. Wie verhält man sich als, in den Augen der Townshipbewohner, reicher Tourist in dieser Armut?
Doch wir haben Glück. Wir werden morgens früh im Hotel abgeholt und
sind tatsächlich ganz alleine mit unserem Fahrer und Guide unterwegs, der ein gutes Gespür für Menschen hat und über viel Einfühlungsvermögen verfügt. Er fährt mit
uns zuerst in den ehemaligen District Six, wo auf den ersten Blick
nichts Spektakuläres zu erkennen ist. Wir erfahren, dass der District Six, ein historisch gewachsener Stadtteil, in dem Menschen aller
Hautfarben gemeinsam lebten, der eine weltweit bekannte Musikszene
hatte, 1966 dem Erdboden gleich gemacht wurde. Mehr als 60.000 Menschen
wurden damals vertrieben. Nichts ist
von diesem Stadtteil geblieben. Im District-Six-Museum laufen dazu
wechselnde Ausstellungen, leider hat es heute geschlossen.
Es ist Sonntag, deshalb besuchen wir danach einen Gottesdienst, der uns wirklich ergriffen macht. Die Kirche ist keine wie wir sie kennen. Es ist mehr eine Halle. Ein Versammlungsort, in dem sich die Menschen treffen. Rappelvoll ist es hier. Auch das unterscheidet sie deutlich von unseren. Nicht zu vergleichen ist auch der Gottesdienst mit unserem. Hier hat man eher das Gefühl die Menschen feiern eine Party. Die Musik treibt uns teilweise die Tränen in die Augen. Man macht uns freundlich Platz, wir werden wie selbstverständlich in der Gemeinde aufgenommen.
Wir erfahren viel über die Geschichte der Townships und die Lebensumstände hier, auch die sozialen Unterschiede innerhalb der Townships werden deutlich. Es gibt gut gemauerte Einzelhäuser, Mehrfamilienhäuser, die in den letzten Jahren errichtet wurden, ältere Gebäude, wo ganze Familien auf 4 Quadratmeter wohnen und Bad und Küche mit vielen anderen Familien teilen. Wobei man sich hier unter Bad und Küche nicht das vorstellen sollte, was bei uns Bad und Küche bedeutet.
Und dann gibt es noch die Baracken, aus Müll errichtet, meist undicht, kein fließend Wasser, kein Strom. Nur Wasserstellen und aufgestellte Dixieklos. Trotzdem werden wir angelächelt und hereingebeten. Wir schämen uns. Wir haben unseren Teil der Welt, der nur deshalb funktioniert, weil es auch diesen Teil gibt. Kein gutes Gefühl!
Zum Schluss geht es in eine Shebeen, jene illegalen Bars, die schon unter dem Apartheidsregime Bier und Schnäpse verkauften, selbstgebraut und gebrannt, versteht sich.
Das selbstgebraute Bier wird in Plastikfässern gelagert, abgedeckt mit Leinentüchern. Wir kaufen ein "Glas", was hier heißt einen 5 Liter Eimer, aus dem gemeinsam getrunken wird. Die anderen Gäste schauen auch genau, ob wir tatsächlich trinken und nicken anerkennend, als wir es tun. Es schmeckt ein wenig dünner als unser Bier, ist aber durchaus trinkbar. Nur durch die Größe und das Gewicht nicht so gut händelbar. Den Rest des Eimers überlassen wir den anderen Gästen.
Zum Schluss sehen wir uns noch Vicky´s Bed&Breakfast an, ein kleines Gästehaus mitten im Township. Hier war es möglich tatsächlich im Township zu übernachten. Besonders aber freut mich, hier gibt es eine Toilette, die ich benutzen kann. Was inzwischen wirklich dringend ist.
Leider habe ich vor kurzem gelesen, dass die fröhliche Besitzerin Vicky 2012 von ihrem Ehemann ermordet wurde. Auch die Website des kleinen Hotels ist nicht mehr existent. Wahrscheinlich gibt es dieses kleine Projekt, das einen besonderen Einblick in das Leben im Township ermöglicht hat, also nicht mehr.
Als wir am frühen Nachmittag wieder in unserem Guesthouse ankommen sind wir platt. Soviele Informationen und Eindrücke. Und trotzdem soviele Fragen, die offen bleiben. Ein schlechtes Gewissen. Soviel Ungerechtigkeit. Warum geht es uns soviel besser? Wird diese Regenbogennation wirklich irgendwann zusammenwachsen? Bei all diesen wirtschaftlichen und sozialen Ungerechtigkeiten?
In Erinnerung bleibt mir das Lächeln der Bewohner. Die Freundlichkeit. Angesichts der Lebensumstände für uns ein Mysterium. Sicher ein gezielter Ausschnitt für uns Touristen. Doch dabei so herzlich. So von innen kommend. Das gibt Hoffnung. Irgendwann wird Südafrika hoffentlich wirklich eine Nation sein.
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