Island - der Süden bis Vik

Wir verabschieden uns von den Islandpferden, die gegenüber unserer Hütte auf einer Weide stehen und machen uns auf den Weg.
Islands Süden ist unser nächstes Ziel. Erst einmal der grüne Teil, der sich bis Vik erstreckt und der für isländische Verhältnisse wegen seiner Nähe zu Reykjavik, den etwas höheren Temperaturen und längeren Wachstumsphasen noch recht dicht besiedelt ist. Es ist leicht bewölkt, die Sonne scheint gelegentlich durch einzelne Wolkenlücken, als wir am frühen Vormittag den Ort Selfoss erreichen. Und zum ersten Mal feststellen müssen, dass unsere bevorzugte Supermarktkette Bonus erst um 11 Uhr am Morgen öffnet. Es ist gerade 10 Uhr, also weichen wir auf einen anderen Discounter aus, um unsere Lebensmittelvorräte aufzufrischen. Ich würde Selfoss nicht unbedingt als schönen Ort bezeichnen, aber Einkaufsmöglichkeiten gibt es reichlich, ein ausgezeichneter Versorgungsort.
Auf den Wiesen links und rechts der Ringstraße liegt gut verpackt das abgeerntete Heu, Futter für die langen, kalten Wintermonate. Als hätte jemand riesige Marshmallows ins Grün gekleckst.
Unsere erste Pause machen wir am Seljalandsfoss. Wir parken am Straßenrand der Zufahrtsstraße, der Parkplatz ist bereits voll. Und - wie sollte es anders sein - es beginnt zu nieseln. Eine hartnäckige Wolke hat sich am Rand der Klippen festgehängt und taucht alles in freundliches Grau. Böse Wolke!
Wir lassen uns nicht beirren, ziehen erneut unsere Regenjacken an und machen uns auf den Weg. Der Seljalandsfoss fällt 60 Meter von den Klippen in die Tiefe und das besondere an ihm ist, dass man über einen glitschigen Pfad auch hinter den Wasserfall gelangen kann. Was eine völlig neue Perspektive gibt. Außerdem ist es dann egal, ob es ein wenig nieselt. Nass wird man sowieso, ob nun durch Regenwasser oder Wasserfallnebel.
Der Seljalandsfoss ist ein ziemlich bekanntes touristisches Ziel, deshalb ist es auch hier recht voll. Auf dem Weg zum Glufrafoss, der nur wenige hundert Meter  entfernt hinter einem Felsen versteckt am Campingplatz liegt, ist bereits deutlich weniger los.Tatsächlich kann man diesen Wasserfall nur erreichen, indem man elegant über nasse, rutschige Steine tänzelt oder gleich durch das Wasser watet. Da wir davon ausgehen, dass es direkt am Wasserfall einer Dusche gleichkommt, begnügen wir uns mit dem Blick durch die Felsspalte.
Als wir unser Gästehaus erreichen, das nicht weit entfernt liegt, hat es grad wieder aufgehört zu regnen. Es ist noch früh, aber wir können unsere Zimmer schon beziehen und machen uns auch gleich danach wieder auf den Weg, schließlich hat die Gegend noch so viel mehr zu bieten. Nach einigen Kilometern beginnt es zu schütten. Eigentlich wollen wir zum Skógafoss, aber nicht bei diesem Wolkenbruch. Links der Ringstraße verhüllen tiefhängende dunkle Wolken die steilen Hänge, unsere Scheibenwischer mühen sich mit den Wassermassen ab, mein Blick verirrt sich im dunklen Grau. Irgendwo dort oben liegt der Eyjafjallajökull. Der Vulkan unter diesem Gletscher hat im Frühjahr 2010 nicht nur das Leben hier aus den Fugen gebracht, sondern auch den Flugverkehr in großen Teilen Europas lahmgelegt.
Wir halten spontan an einem kleinen Museum, das an der Straße liegt und hasten durch den Regen ins Gebäude.
Hier hat die Familie Eggertsson, deren Bauernhof Thorvaldseyri im Schatten des Vulkans an dessen Südseite liegt, ein kleines Museum eröffnet. Eine wirklich schlaue Geschäftsidee. Gemeinsam mit einer Reisebusladung, die kurz nach uns eintrifft, schauen wir eine Dokumentation über den Ausbruch des Vulkans und die Folgen für den Hof und seine Bewohner. Untermalt mit dramatischer Musik erhält man einen Einblick in die ereignisreiche Zeit und kann danach im kleinen Shop so Dinge erstehen wie Vulkanasche in Glasfläschchen oder Teelichthalter aus Vulkangestein. Uns ist das alles ein wenig zu teuer und brauchen tun wir es auch nicht.
Der Regen hat nachgelassen und als wir am Skógafoss ankommen ist er sogar ganz vorbei. Hurra! Leer ist es hier natürlich auch nicht, was aber dem Wasserfall nichts von seiner Majestät nimmt. Ob man unten steht oder oben auf der Plattform, er ist einfach unglaublich beeindruckend.  Direkt oben neben der Plattform grasen einige Schafe, die wohl nicht dorthingehören, da sie kurze Zeit später von zwei kernigen Männern in Gummistiefeln energisch wieder den Berg hinabgetrieben werden. Immer wieder klettern triefend nasse Wanderer mit schweren Rucksäcken hier oben über eine hölzerne Leiter, um dann die Treppe hinunter ins flache Küstenland zu steigen. Die Armen haben sicher keinen trockenen Faden mehr am Leib. Als wir etwas später unten in der Fossbúð Fish and Chips essen, sehen wir viele, die ihre klammen Finger an heißen Kaffee - oder Teebechern wärmen, in den Waschräumen hängen Socken und Pullover zum trocknen. Der Speisesaal hier versprüht den Charme einer Jugendherberge, aber das Essen ist gut und tatsächlich nicht so teuer wie wir gedacht haben, Tee, Kaffee und Wasser kann man sich nachnehmen soviel man möchte.
Wir beschließen, dass noch genug Zeit ist, um Richtung Vik zu fahren. Oder besser zum Felstor Kap Dyrhólaey. Obwohl ich eigentlich schon ein wenig müde bin, so ganz bin ich die blöde Erkältung wohl doch noch nicht los.

Deshalb fehlt in unserer Fotosammlung auch das obligatorische Foto dieses Felsentores, da wir den steilen Weg zum Leuchtturmhäuschen nicht mehr hinaufgefahren sind. Nur den schwarzen Sandstrand und in der Ferne die Basaltzacken, die einer Legende nach versteinerte Trolle sein sollen - was auch sonst - haben wir aufgenommen. Wir fahren zurück, verbringen den restlichen Abend im Wohnzimmer des Gästehaus, während die Dame des Hauses laut trällernd mit ihrer kleinen Tochter in der Küche werkelt und zwei junge Männer aus England über einer Landkarte ihre Tour für morgen planen.
Am nächsten Morgen strahlt die Sonne an einem wolkenlosen, blauen Himmel. Das ist doch mal eine willkommene Abwechslung. Ich hatte vorab ein wenig Bedenken, wie sich das logistisch mit einem Bad für drei Gästezimmer organisieren lässt, aber alles klappt problemlos. Wir frühstücken mit den beiden Engländern und einem jungen spanischen Pärchen gemeinsam am Tisch, bevor wir uns erneut auf den Weg machen. Unsere erste Idee, nämlich die Westmännerinseln zu besuchen, haben wir gestern wegen des unbeständigen Wetters verworfen. Statt dessen machen wir uns auf den Weg, um zu einem Flugzeugwrack zu wandern. Seltsame Unternehmung, denkt ihr? Ja, das mag sein. Doch für Menschen, die gerne fotografieren ist das tatsächlich ein absolutes Highlight.
Im November 1973 verunglückte eine Douglas Super DC-3 der US Navy an der isländischen Küste. Die Besatzung überlebte glücklicherweise, das Wrack aber liegt auch heute noch unweit der Absturzstelle. Bilder davon hatte ich bereits vor einigen Jahren im Netz gefunden, als uns das erste Mal die Idee kam dieses Land zu besuchen. Damals konnte man noch mit dem Fahrzeug zum Flugzeugwrack fahren, das knappe 4 Kilometer abseits der Ringstraße zwischen Skògar und Vik liegt. Es wurde in kaum einem Reiseführer erwähnt und war noch so etwas wie ein Geheimtipp. Spätestens seitdem Justin Bieber 2015 das Wrack als Kulisse für einen Videoclip nutzte ist das vorbei. In diesem Jahr haben die Landbesitzer den Weg zum Flugzeugwrack geschlossen. Also für Fahrzeuge. Zu rücksichtslos sind manche Leute hier off-road durch die empfindliche Natur gebrettert.
So muss man sich heute also zu Fuß auf den Weg machen, was zumindest die Wirkung hat, dass in der Regel nur wirklich Interessierte dorthin aufbrechen.
Wir laufen fast eine Stunde durch die steinige Landschaft, als das Flugzeugwrack unvermittelt links des Weges in einer Senke auftaucht. Die Tragflächen und der hintere Teil fehlen, die Fensteröffnungen sind schwarze Löcher, vom Cockpit hat jemand die Spitze abgebissen und auch sonst wirkt das Wrack als hätte nicht der Zahn der Zeit, sondern ein imaginäres Monster daran genagt. In dieser tristen Landschaft könnte es einem Endzeitfilm entsprungen sein. Kurz gesagt, es ist einfach nur faszinierend.
Natürlich sind wir nicht alleine hier. Doch die meisten Besucher nehmen Rücksicht aufeinander, so dass es trotzdem möglich ist das Wrack auch ohne andere Menschen zu fotografieren. Aber wie immer gibt es die unrühmlichen Ausnahmen. Menschen, die sich am und im Wrack in tausend verschiedenen Posen fotografieren müssen. Die hinaufklettern ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was sie vielleicht dabei zerstören. Meine gehässige Seite wünscht sich dann, sie mögen einbrechen, sich verletzen oder hinunterfallen. Glücklicherweise passiert das nicht.
Eine gute Stunde verbringen wir hier. Fotografierend. Oder einfach nur sitzend diese unglaubliche Kulisse auf uns wirken lassend. Staunend. Dann wandern wir zurück.
Pause machen wir am Skógafoss in der Sonne. Essen Brote, trinken Kaffee, während ein Regenbogen den Wasserfall wie verzaubert aussehen lässt. Sicher gibt es irgendwo hinter den fallenden Wassern auch irgendeinen verwunschenen Goldschatz. Deshalb glitzert es hier so...
Den Nachmittag verbringen wir am Sólheimajökull, einer Gletscherzunge knappe sieben Kilometer östlich von Skógar. Unsere erste Begegnung mit dem Eis auf Island. Von hier aus starten Gletschertouren, behelmte Menschen mit Spikes unter den Schuhen winden sich in langen Reihen auf dem nicht ganz weißen Eis. Ob es Spuren ehemaliger Vulkanausbrüche sind, die das Eis so gefärbt haben? Oder andere Umwelteinflüsse? Wir wissen es nicht. Wir wandern so dicht heran, wie es erlaubt ist, setzen uns auf einen Felsen, um das emsige Treiben auf dem Gletscher zu beobachten. Und die gigantische Kulisse.
Wir trinken noch einen Kaffee an einem improvisiert wirkenden Container in der Sonne und freuen uns, dass wir auf einmal so viel Glück mit dem Wetter haben. Hier ist es so warm, dass man nur im T-shirt und mit Sonnenbrille sitzen kann. Da sag noch mal jemand Island wäre kalt...
Diesen wunderbaren Tag beenden wir in unserem Gästehaus. Auf den Stufen vor der Eingangstür in der Abendsonne. Essen kalte Hotdogs aus unseren Vorräten und trinken ein Glas Rotwein dazu. Erfreuen uns an den warmen Farben, in denen die abendliche Landschaft erstrahlt. Wunderschön. Plauschen noch ein wenig mit unserer Gastgeberin, die uns erzählt, wie sie den Ausbruch des Eyjafjallajökull erlebt hat. Kosten den Trockenfisch, den uns ihre zweijährige Tochter großzügig abgibt. Kommen immer mehr an in diesem besonderen Land. Was wir wohl an den folgenden Tagen noch sehen werden? Wenn wir die Eiswelten im Südosten passieren? Das könnt ihr dann beim nächste Mal lesen.










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