Wir haben Zeit und der direkte Weg würde uns in wenig mehr als einer Stunde an unseren Zielort in der Nähe von Villefranche-de-Conflent bringen. Also beschließen wir über Amélie-les-Bains zu fahren. Der Name klingt irgendwie verheißungsvoll, dort soll es heiße Quellen geben. Tatsächlich ist dieses Städtchen dann nicht mal halb so schön, wie wir es uns vorgestellt haben, so dass wir einfach weiter fahren. Thias hat eine kurvige Querverbindung - die D 616 - ausgesucht, der wir nun folgen. Kurz halten wir in Palalda, das einen mittelalterlichen Turm vorweisen kann und begeben uns dann in die Kurvenfahrt.
Die Strecke ist wenig frequentiert, nach kurzer Zeit wissen wir auch warum. Linkskurve folgt auf Rechtskurve und so weiter, wir werden eine Weile brauchen für diese Querverbindung. Doch sie führt auch durch wunderschöne Bergdörfer, die ihre steinernen Mauern mit rotglühendem herbstlichen Laub schmücken, an verfallenen Häusern vorbei, deren Türen direkt in die Landschaft führen und durch Wälder mit uralten Korkeichen. Eine irgendwie verwunschen wirkende Gegend.
Villefranche-de-Conflent erreichen wir am frühen Nachmittag. Fast ein wenig schwindelig nach all diesen Kurven. Bevor wir unser Ferienhaus beziehen, wollen wir noch ein wenig durch diese Festungsstadt bummeln. Die wurde übrigens an diesem strategisch wichtigen Platz erbaut von Vauban, dem Festungsbaumeister Ludwigs XIIII. Also natürlich nicht von ihm selber, aber er hat dieses Bollwerk geplant. Die umgebenden Berghänge lassen nur wenig Raum, die hinter starken Mauern liegende Stadt hat keine Möglichkeit mehr sich in irgendeiner Weise weiter auszubreiten. Hoch über Villefranche klebt als zusätzlicher Schutz das Fort Libéria am Berghang.
Zuerst aber brauchen wir einen Parkplatz. Der auf diesem engen Raum natürlich eher Mangelware ist. Doch wir haben Glück, direkt vor uns gibt ein junger Mann zu verstehen, dass er seinen Parkplatz unmittelbar vor dem Stadttor gerade räumen will. Glück gehabt!
Zwei Straßen führen parallel durch den Ort, gesäumt von mittelalterlichen Häusern, die hauptsächlich touristische Geschäfte beherbergen. Schön anzusehen ist der Ort aber auf jeden Fall.
Wir haben Hunger und suchen ein Restaurant, wo wir eine Kleinigkeit essen können. In der Sonne, versteht sich, denn im Schatten ist es durchaus schon ein wenig kühl. Allzuviele kommen da nicht in Frage, doch wir finden direkt am Stadttor ein Restaurant, das noch einen kleinen Tisch im Sonnenschein frei hat. Bis wir unser Essen haben, sitzen wir allerdings schon wieder im Schatten. Das Personal scheint ein bißchen konfus und hat wohl angesichts des großen Andrangs den Überblick komplett verloren.
Von hier bis zu unserem Ferienhaus brauchen wir noch einmal zehn Minuten mit dem Auto. Ein wunderschönes Chalet aus Holz, umgeben von einer imposanten Bergwelt. Und von anderen Häusern. Trotzdem gefällt es uns wirklich gut und wir haben viel mehr Zimmer, als wir eigentlich bräuchten. Wir plauschen eine Weile mit unserem Vermieter, diesmal zur Freude aller ein englisch sprechender junger Mann, der einen wirklich interessanten Lebenslauf vorzuweisen hat. Am Abend zünden wir den Ofen an, der erstaunlicher Weise innerhalb kurzer Zeut das gesamte Haus erwärmt. Draußen ist es empfindlich kühl geworden und während wir unser Abendessen vorbereiten, sind wir froh, dass wir es kuschelig warm haben.
Der nächste Morgen begrüßt uns mit dem ersten Frost dieses Jahres. Wir sind früh dran, denn wir haben uns für heute mehrere Dinge vorgenommen.
Als wäre man jetzt nicht schon genug gekraxelt führt der Besichtigungspfad durch das Fort auch nur treppauf und treppab. Und zwar immer schön abwechselnd. Mein Knie ist not amused, meine Begleitung auch nicht, weil ich die ganze Zeit vor mich hinschimpfe. Zum krönenden Abschluss führt der alternative Abstieg über nur wenig mehr als 1000 Stufen wieder hinunter ins mittelalterliche Villefranche-de-Conflent.
Gut dass wir für den Rest des Tages nur noch sitzen müssen. Wo? Im Train jaune, einem kleinen gelben Zug, der hier auf der höchstgelegenen Strecke Frankreichs fährt. Schon mehr als hundert Jahre existiert diese Bahnstrecke, mehr als 30 Stundenkilometer ist hier selten zu schaffen.
Wir warten mit vielen anderen Reisenden auf dem Bahnsteig in Villefranche-de-Conflent auf die Einfahrt des gelben Zuges. Heute ist Halloween, neben uns steht ein zurechtgemachtes älteres Paar aus den Staaten mit spinnenwebenbesetzten Hüten. Das Prozedere mit der Ticketkontrolle gerät etwas aus den Fugen, offenbar waren so viele Reisende nicht vorgesehen, so dass ein anderer Zug auf die richtigen Schienen rangiert werden muss. Niemand hat daran gedacht die Absperrungen zu schließen, so dass die Reisenden überall auf dem Bahnsteig verteilt stehen. Wie ein Dompteur versucht nun ein Bahnangestellter alle wieder hinter die Absperrung zu scheuchen. Was ihm nicht wirklich gelingt.
Irgendwann sind dann alle in den Waggons verteilt und es geht tatsächlich los. Langsam zuckelt die gelbe Bahn bergauf und bietet dabei spektakuläre Ausblicke in die Bergwelt. Im Sommer kann man das ganze auch aus offenen Waggons genießen, wir müssen heute die Fenster herunterschieben, um den selben Effekt zu haben. Frischer Fahrtwind bläst uns ins Gesicht, während die beeindruckende Landschaft an uns vorbeifliegt. Naja, es ist dann mehr ein Zeitlupenflug.
Bis ins katalanische Spanien führt diese Bahnstrecke, doch so weit wohlen wir nicht, wir wären erst im Dunkeln zurück. So verlassen wir die Bahn im Wintersportort Font Romeu, nachdem wir die höchste Stelle überquert haben, um dann den nächsten gelben Zug zurück zu unseren Ausgangsort zu nehmen. Ein Ausflug, der sich wirklich gelohnt hat. Es dämmert, als wir in Villefranche-de-Conflent aussteigen. Den Abend verbringen wir erneut in unserem kuscheligen Ferienhaus vor dem Feuer im Kaminofen.
Der nächste Tag ist ein Dienstag, der erste November, Allerheiligen, ganz Frankreich hat frei. Wir packen unser Auto nach dem Frühstück und machen uns erneut auf den Weg. Morgen schon geht unser Flug zurück in den kalten Norden, unser letzter Übernachtungsort ist das mittelalterliche Städtchen Mirepoix. Doch bevor wir dort ankommen geht es erstmal noch eine ganze Weile durch die beeindruckende Bergwelt der Pyrenäen.
Da wir rechtzeitig aufgebrochen sind, entscheiden wir uns spontan einen kurzen Abstecher in das benachbarte Andorra zu machen. Hauptsächlich weil der Pas de la Casa so sehenswert sein soll. Was wir nicht bedacht haben: es ist Allerheiligen, ganz Frankreich hat frei. Was wir nicht wussten: Andorra ist ein zollreies Einkaufsparadies. So finden wir uns unvermittelt in dem Bergort gleichen Namens und trauen unseren Augen nicht. Quietschbunte Gebäude - hauptsächlich Parkhäuser und Kaufhäuser machen diesen Ort aus. Karge Berghänge rundherum, kein Baum, kein Strauch, aber Tausende von Franzosen sind hier gerade auf Parkplatzsuche, der Wahnsinn tobt um uns herum.
Je höher wir kommen, desto mehr Tankstellen, die günstig ihren Sprit anbieten. Wir tanken. Und beschließen dann umzukehren. Stehen noch eine Weile an der Grenze, wo Zollbeamte - oder sind es Grenzbeamte? - stichprobenhaft einzelne Fahrzeuge kontrollieren. Und sind froh, als wir dem Einkaufswahnsinn entkommen und wieder auf den beschaulichen französischen Bergstraßen unterwegs sind.
Unseren letzten Übernachtungsort erreichen wir am Nachmittag. Mirepoix. In meinem Reiseführer stand, dass der Marktplatz dieses Städtchens einer der schönsten in ganz Südfrankreich wäre. Ja, und was soll ich sagen... Wie er da so vor uns in der Sonne liegt, ist er das auf jeden Fall! Reich verzierte Fachwerkhäuser säumen den Platz, die oberen Stockwerke ruhen auf mächtigen hölzernen Pfeilern und ermöglichen es den Platz in ihrem Schatten zu umrunden. Ein Traum!
Ein würdiger Ort für den Abschluss unseres Urlaubs. Genauso wie unser Hotel, das in einem der Fachwerkhäuser beheimatet ist. Wir sitzen in der Sonne und trinken einen Kaffee, bummeln durch die sehr individuellen Geschäfte und essen zu französischer Zeit, 19 Uhr, in dem einzigen offenen Restaurant zu Abend. Ein wirklich bezaubernder Ort!
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