Wir schreiben den 27. Januar des Jahres 2017. Die Sonne sinkt dem Horizont entgegen, ein eisiger Wind lässt uns frösteln und unsere klammen Finger noch tiefer in den Jackentaschen verschwinden. Die Wurster Nordseeküste liegt eingefroren wie verzaubert im Licht der untergehenden Sonne. Wir haben in Wremen ein kleines Apartment gemietet und wollen uns die nächsten zwei Tage Bremerhaven ansehen. Heute aber wandern wir am kleinen Wremer Hafen entlang, um nach all den grauen, trüben Tagen, die man in geheizten Räumen verbracht hat, mal wieder richtig durchgelüftet zu werden.
Hier am Hafen befindet sich eine Gedenktafel für die mutige Friesin, die ihr Leben für die Freiheit ließ, außerdem der Leuchtturm kleiner Preuße, der sein Licht in das Watt hinausschickt. Zwei Kutter liegen vertäut an der Hafenkante. Es ist Ebbe, das Wasser hat sich weit zurückgezogen, nur in den Prilen steht es weiterhin. Man spürt den Hauch der Geschichte nicht. Nicht im Moment. Zu dieser Jahreszeit ein herrlich unaufgeregter Ort. Doch in diesem Jahr jährt sich das Datum der Schlacht zum fünfhundertsten Mal. Viele Veranstaltungen sind geplant. Vielleicht sollte man in den warmen Monaten noch einmal wiederkommen?
Ein heißer Ostfriesentee in einem Restaurant am Deich belebt unsere tiefgefrorenen Glieder. Beim Einschenken gilt es die Reihenfolge zu beachten. Erst der Kluntje in die Tasse, ein Stück braunen oder weißen Kandiszucker, darüber den Tee gießen, damit der Kluntje schön knistert und dann ein Tröpfchen Sahne (’n Wulkje Rohm) mit dem Sahnelöffel (Rohmlepel) hinzufügen. Übrigens sollte man als Gast mindestens drei Tassen trinken, vorher abzulehnen gilt als unhöflich. Ist man so durchgefroren wie wir, sollte das eigentlich kein Problem darstellen. Nach einem guten Essen schlafen wir tief und fest hier an der Wurster Nordseeküste, die im Moment so wunderbar friedlich auf uns wirkt.
Am nächsten Morgen geht es auf nach Bremerhaven. Das Wetter ist kalt, aber der Himmel blau und die Sonne scheint, hurra. Wir parken den Wagen in einer Tiefgarage direkt unter dem Klimahaus. Kostenpunkt sieben Euro für den ganzen Tag. Das Klimahaus ist eigentlich der Anlass unserer Kurzreise, ich hatte bereits von vielen Leuten gehört wie begeistert sie waren. Zeit sich ein eigenes Urteil zu bilden. Die Kassen öffnen schon kurz vor 10 Uhr, wir zahlen unsere 16 Euro Eintritt pro Person und los geht es.
Ich möchte hier nicht zuviel verraten. Ein jeder mag sich selbst auf die Reise begeben und seine eigenen Eindrücke und Erfahrungen gewinnen. Nur soviel: wir begeben uns auf eine Reise entlang des 8. Längengrades durch unterschiedliche Klimazonen, lernen dabei die verschiedensten Menschen und eine Bandbreite von Lebensbedingungen kennen. Wir erfahren auch etwas über Ungerechtigkeiten, die Vielfalt der Kulturen, verschiedene Sichtweisen und Blickwinkel und verlieben uns dabei noch ein wenig mehr in unseren wundersamen blauen Planeten. Zumindestens mir geht es so. Wenn ich mit den Kindern aus Niger die richtige Aussprache ihres Wortes für Danke übe, die drückende Hitze der afrikanischen Wüste spüre, die Kälte der Antarktis mich frösteln lässt, wenn ich erfahre, warum man bei den Tuaregs nicht pupsen sollte, wenn die Frage nach dem Alter eines Kindes beantwortet wird mit der Aussage, jeder ist so alt wie die Aufgaben, die er erledigen kann, die Jahre werden nicht gezählt, dann freue ich mich an dieser Vielfalt und mein Herz geht auf.
Wir verlassen nach einigen Stunden das Klimahaus, um etliche großartige Erfahrungen reicher. Tatsächlich kann man locker einen ganzen Tag dort verbringen ohne dass es langweilig wird.
Den Tag beschließen wir in einem Restaurant im Fischereihafen. Dort wurde eine ehemalige Fischpackhalle in eine Art Restaurantmeile umgewandelt, hier findet sich sicher für jeden Geschmack etwas. Wir sind froh, dass wir dort langsam auftauen können, um dann unseren Magen mit leckeren Krabben und Bratkartoffeln füllen zu können.
Der Morgen des nächsten Tages begrüßt uns mit freundlichem Nieselregen. Museumswetter. Wir beschließen das Auswanderermuseum zu besuchen, das sich ebenfalls in den Havenwelten befindet. Leider kommen gemeinsam mit uns zwei Reisebusse an und das regnerische Wetter trägt auch nicht wirklich dazu bei, uns ein leeres Museum zu bescheren. Naja, man kann eben nicht alles haben...
Trotz der Fülle geht auch dieses Museum sehr anschaulich und informativ mit dem Thema um. Man begleitet "seinen persönlichen Auswanderer" auf seiner Reise in die neue Welt, erfährt etwas über seine Beweggründe, seine Ankunft und darüber ob sich seine Träume erfüllt haben. Den Namen erhält man mit der Eintrittskarte.
Besonders bewegt hat mich die Inschrift einer Bronzetafel, die ehemals den Sockel der Freiheitsstatue zierte, auf der die Worte Emma Lazarus zu lesen sind:
"Gebt mir eure Müden, eure Armen, eure gehäuften Massen voll Sehnsucht, frei zu atmen,
den elenden Auswurf eures überquellenden Lands,
Schickt sie, die Heimatlosen, sturmgepeitscht zu mir. Ich halte meine Fackel hoch am goldenen Tor."
Wie wenig sich wohl die Wünsche, Träume und Hoffnungen derjenigen, die damals eine neue Heimat suchten, von jenen unterscheidet, die sich heute auf der Flucht befinden? Und wie unendlich traurig, dass dieses Land, das für viele ehemals ein Synonym für Freiheit, der Ort ihrer Träume war, sich heute denjenigen verschließt, die sie früher mit offenen Armen aufgenommen hätten. Die Freiheitsstatue muss sich missbraucht fühlen...
Das Auswanderermuseum hat auch eine "Einwanderungsabteilung", hier erfährt man in der nachgestellten Umgebung der siebziger Jahre viel über Menschen, die in den letzten dreihundert Jahren nach Deutschland immegriert sind, seien es französische Hugenotten, Gastarbeiter oder syrische Bürgerkriegsflüchtlinge. Dieses Museum verlasse ich nachdenklich und ein wenig dankbar dafür an einer Ecke der Welt zu leben, in der Frieden, Freiheit und Sicherheit so selbstverständlich geworden sind, dass viele diesen Zustand überhaupt nicht mehr zu schätzen wissen.
Den restlichen regnerischen Tag nutzen wir noch für einen kurzen Besuch des Städtchens Bad Bederkesa. Wir haben gelesen, dass es dort eine Burg geben soll. Die Burg gibt es, ihr Inneres beherbergt aber das archäologische Museum des Landkreises Cuxhaven, was uns inhaltlich grad nicht so wirklich reizt.
So beenden wir den Tag in unserem Ferienapartment im Wurster Land, während die Regentropfen die Fensterscheiben herunterlaufen. Dieses gar nicht so weit entfernte Bremerhaven ermöglichte uns einen Blick auf fremde Kulturen, fremde Klimazonen, Auswandererschicksale und der Suche nach der Freiheit. Ich glaube unserer friesischen Freiheitskämferin Tjede Peckes, die so früh ihr Leben ließ für genau diese Freiheit, der hätte all das auch gefallen.
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