Hamburg entdecken - die Insel Neuwerk

Wer diesen Teil Hamburgs entdecken will, muss Hamburg erst einmal verlassen. Ja, das klingt seltsam, entspricht aber den Tatsachen. Über die B73 sind es von Hamburg nach Cuxhaven an der Nordsee etwa 130 zermürbend lange Kilometer auf einer viel befahrenen Landstraße. Wer es schafft auf der Strecke einmal schneller als Tempo 80 zu fahren, hat sicher einen neuen Geschwindigkeitsrekord aufgestellt. Tatsächlich benötigt man für die 130 km an normalen Tagen gerne schon mal 3 Stunden. Ja, so etwas gibt es noch in Deutschland! Von Cuxhaven sind es dann noch einmal etwas mehr als 10 km übers Wasser oder durch das Watt... und man ist wieder in Hamburg. Nämlich auf der Insel Neuwerk.

Schon als Kind habe ich mir vorgestellt, wie wunderbar es sein muss mit einem Wattwagen zu fahren. Doch ich musste erst im spätsommerlichen Lebensalter ankommen, damit ich es endlich einmal mache. Wir starten vom Stadtteil Sahlenburg am frühen Morgen. Die Abfahrtszeiten der Wattwagen werden durch die Gezeiten bestimmt, man muss sich also vorher informieren und diese Fahrt vorbuchen. Sein Auto kann man auf einem nicht weit entfernten Parkplatz abstellen, der für den ganzen Tag 4 Euro kostet.

Neuwerk wird hauptsächlich von Tagesgästen frequentiert, die mit dem Wattwagen hinfahren und mit dem Schiff zurück. Auf der Insel hat man dann eine Aufenthaltszeit von zirka 5 Stunden. Da wir die Insel auch ohne Tagestouristen kennenlernen wollten ist uns das zu wenig und wir haben deshalb ein Zimmer zum übernachten gebucht. Im Hus achtern Diek ( für alle, die des plattdeutschen nicht mächtig sind, das bedeutet Haus hinterm Deich) werden wir eine Nacht verbringen und von dort kommt auch unser leuchtend gelber Wattwagen.
Wir sitzen vorn beim Fahrer und haben freie Sicht. Die Morgenluft weht uns kühl ins Gesicht, als es endlich losgeht. Hinter uns sitzt eine Familie, die eigentlich zu Fuß durchs Watt nach Neuwerk wandern wollte. Doch sie waren zu spät und durften nicht mehr ins Watt. Zu Fuß benötigt man für den Weg ungefähr 3 Stunden, das Zeitfenster ist kurz und man sollte die Gefahr nicht unterschätzen. Schon so manchen hat die Flut überrascht und mit sich fortgespült. Unser Fahrer erzählt, dass grad am letzten Wochenende wieder jemand ertrunken ist.
Die robusten Pferde bringen uns sicheren Schritts immer an den Reisigbüscheln entlang Richtung Neuwerk. Die Weite um uns herum ist einfach beeindruckend und lässt uns verstummen. Wir fühlen uns irgendwie klein und unbedeutend.

In Abständen stehen an der Strecke immer wieder Rettungsbaken.  Wer von der Flut überrascht wird, sollte sich dort in Sicherheit bringen. Dort findet der Gestrandete eine Rettungsrakete, die dafür sorgt, dass man nach Abschuss von einem Hubschrauber abgeholt wird. Allerdings kann das dann einen tiefen Riss ins Urlaubsbudget reißen, solch einen Einsatz hat man auch selbst zu bezahlen. Doch auch hier ist Vorsicht geboten, wie uns der Fahrer aufklärt. Denn nicht immer ist die dichteste Barke auch am besten zu erreichen. Manchmal liegen dazwischen  Priele, die sich bei Flut zuerst mit Wasser füllen und dabei Fließgeschwindigkeiten entwickeln, bei denen auch der stärkste Schwimmer keine Chance hat. Wer sich im Watt nicht auskennt, sollte ohnehin nur mit Wattführer wandern.
Wir erreichen Neuwerk nach etwas über einer Stunde sicher und trockenen Fußes. Nachdem wir den Deich überquert haben empfängt uns das Ortschild mit dem Hamburger Wappen. Ein Stückchen Hamburg über 100 km entfernt von Hamburg. Schon besonders.
Neuwerk ist vor allen Dingen eines: still. Man fühlt sich ein wenig aus der Zeit gefallen. Kein Verkehr. Lediglich die Wattwagen und der ein oder andere Traktor. Ansonsten ist man auf dieser Insel zu Fuß unterwegs. Sie ist ja auch überschaubar, mit ihren 3 Quadratkilometern. Auf dem Deich umrundet man sie in ungefähr einer Stunde. Laut Wikipedia hat sie 44

Blick auf Schullandheim und Inselkaufmann vom Leuchtturm
Einwohner, beim Inselkaufmann erzählt man uns es wären 36. Auf jeden Fall ist es eine überschaubare Anzahl. Apropos Inselkaufmann. Unweit des trutzigen Leuchtturmes gelegen, habe ich auch dort das Gefühl mich wieder in meiner Kindheit zu befinden. Ein Tante Emma-Laden, wie es ihn heute kaum noch gibt. Mit durchaus gepfefferten Preisen. Wer aber sieht wie die Waren auf die Insel kommen, wird das Zustandekommen der Preise nachvollziehen können. Wir pausieren dort eine Weile und haben schon nach kurzer Zeit einen Neuwerker Aquavit vor uns stehen fürs Überbringen von Grüßen. Hier scheint man trinkfest zu sein, denn es ist noch nicht einmal 12 Uhr Mittags.
Den Leuchtturm, in dem man übrigens auch übernachten kann, besteigen wir natürlich auch. 132 Stufen sind es bis zur Plattform, die einen hervorragenden Blick auf die Insel gewährt. Der erste Turm stand hier bereits im Jahre 1310. Anfangs diente er als Wehrturm. Der dort stationierte Trupp Soldaten sollte die Elbmündung vor See- und Strandräubern schützen. Im Laufe der Jahrhunderte diente er mehrfach auch als Zufluchtsstätte während Sturmfluten.
Neuwerk ist übrigens auch der Hamburger Wahlbezirk, der traditionell immer am schnellsten ausgezählt ist. Es gibt eine kleine Schule, aber zur Zeit keine Kinder auf der Insel, die diese besuchen. Das ist sowieso nur möglich bis zur 4. Klasse, danach müssen die Kinder aufs Festland ins Internat.
Tja, und was gibt es noch? Das Nationalparkhaus mit einer Ausstellung über den Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer, den Friedhof der Namenlosen, auf dem die Leichen bestattet wurden, die von der Flut an Neuwerks Ufer geschwemmt worden waren, die Baken, die über Jahrhunderte als Seezeichen genutzt wurden, Kühe und Pferde und Ruhe und Zeit. Wer einmal so richtig runterkommen möchte vom Trubel und der Hektik unserer Tage, der sollte hier einen mehrtägigen Aufenthalt verbringen. Sicher besser als jede Entspannungstherapie.Hier noch ein paar Impressionen.

Es ist gut, dass wir auch eine Nacht auf Neuwerk verbringen, denn nachdem die Tagesgäste abgereist sind, kehrt auf der Insel eine friedliche Ruhe ein. Von unserem Hotelzimmer können wir zusehen, wie sich die Farbe der Sonne minütlich ändert und wie sie langsam im violetten Wolkenfeld am Horizont verschwindet. Ich denke wir werden noch einmal wiederkommen.





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